Die Welt verhandelt – Deutschland boykottiert

Auf der dritten Konferenz des Atomwaffenverbots diskutieren über eintausend Vertreter*innen von Staaten und Zivilgesellschaft zu nuklearer Abrüstung. Zum ersten Mal nicht mit dabei: Die Bundesregierung.

Wer sich diese Woche durch die Gänge und Konferenzräume der Vereinten Nationen in New York bewegt, erlebt wertegeleitete Sicherheitspolitik aus nächster Nähe: Hier treten Diplomatie, Wissenschaft und Zivilgesellschaft in direkten Austausch. Hier wird offen diskutiert und verhandelt, wie der erste internationale Vertrag zum Verbot von Atomwaffen (AVV) weiterentwickelt werden kann.

Es geht um Menschenrechte, um internationales Recht und Diplomatie. Aber auch um knallharte Sicherheitsinteressen: Denn Atomwaffen und das Konzept der nuklearen Abschreckung stellen eine existenzielle Bedrohung für die Menschheit dar.

Weil die Verhandlungen im Rahmen des Nuklearen Nichtverbreitungsvertrages aufgrund der Renitenz der Atomwaffenstaaten seit Jahrzehnten festgefahren sind, wurde der AVV von den Vereinten Nationen 2017 ins Leben gerufen. Er baut auf den Nichtverbreitungsvertrag auf, ergänzt diesen um das erste vollumfassende Verbot von Atombomben und bietet neue diplomatische Möglichkeiten für nukleare Abrüstung.

Bundesregierung bleibt daheim

Auch wenn Deutschland das Abkommen noch nicht unterzeichnet hat: Es ist das diplomatische Mindestmaß, dass die Bundesregierung diese zentrale Abrüstungskonferenz der Vereinten Nationen zumindest als offizieller Beobachter begleitet. Die Bundesrepublik profitiert schon jetzt von den stabilisierenden Effekten des AVV, der das nukleare Tabu stärkt und die Verbreitung von Kernwaffen eindämmt.

Seit Monaten hatte ICAN die Regierung nach Transparenz gefragt: Wird das Auswärtige Amt teilnehmen? Wird Deutschland ein Statement abgeben? Wer wird das Land in der UN-Konferenz vertreten – Die Außenministerin? Eine Botschafterin? Ein Abteilungsleiter?

In letzter Minute kam die Absage: Niemand wird die Bundesregierung vertreten. Deutschland bleibt zum ersten Mal der AVV-Konferenz fern.

Eröffnungsrede des Hiroshima-Überlebenden und Nobelpreisträgers Jiro Hamasumi

Worthülsen aus dem Ministerium

Gegenüber der Presse argumentiert das Auswärtige Amt: „Der Atomwaffenverbotsvertrag stammt aus einer Zeit vor dem russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine. Die Intention und Ambition des Vertrags bilden die gegenwärtige sicherheitspolitische Realität nicht mehr ab.“

Das ist Unsinn. Die Intention und Ambition des Vertrages sind eine Welt ohne Atomwaffen. Das ist nicht realitätsfern, sondern essentiell für unser aller Überleben – also pure Sicherheitspolitik. Was wirklich realitätsfern ist: Zu glauben, dass nukleare Abrüstung erst in einem völlig anderen Sicherheitsumfeld möglich ist; in einer idyllischen Zukunft, in der Harmonie herrscht.

Auch die zeitliche Einordnung der Bundesregierung ist falsch. Der russische Angriffskrieg der Ukraine begann im Jahr 2014 – der Atomwaffenverbotsvertrag wurde erst drei Jahre danach beschlossen. Dennoch war die Bundesregierung 2020 bei der ersten Konferenz des AVV als Beobachterstaat anwesend und gab dort sogar eine Erklärung ab. Das gleiche tat sie bei der zweiten Konferenz, die Ende 2023 stattfand – knapp zwei Jahre nach dem russischen Angriff vom 14. Februar 2022.

Es ist bemerkenswert: Einst hatte die Bundestagsabgeordnete Annalena Baerbock den ICAN-Appell unterzeichnet. Jetzt ist eine ihrer letzten Amtshandlungen als deutsche Außenministerin der umfassende Boykott der einzigen Atomwaffen-Konferenz, die noch wesentliche Fortschritte erzielt.

Es geht weiter, auch ohne Berlin

Diplomatie in Krisenzeiten – man könnte fast meinen, dass die Vereinten Nationen genau dafür geschaffen wurden. Jetzt aber erteilt die Bundesregierung mit ihrem Boykott der Abrüstungsdiplomatie eine Absage und schließt sich aus den wichtigen Gesprächen in der UN aus. Das stößt international auf Unverständnis und Kritik, wird die Verhandlungen aber nicht aufhalten. In New York wartet niemand auf Berlin.

Ein Kommentar von Sebastian Niemetz