Ab morgen ist der neue Blockbuster von Kathryn Bigelow auf Netflix zu sehen. Der Film mit Stars wie Idris Elba und Rebecca Ferguson wirft einen erschreckend realistischen Blick auf die letzten Minuten vor einem Atomkrieg. (Vorsicht: Spoiler!)
Neun von rund zweihundert Staaten der Welt besitzen heute Atomwaffen. Etwa 12.500 Atomsprengköpfe horten sie in ihren Arsenalen. Und es werden mehr. Mehr Bomben, vielleicht auch bald mehr Atomwaffenstaaten.
Mit jedem solchen Staat, mit jeder Kernwaffe steigen die möglichen Szenarien, die zu einem Atomkrieg führen können. In ihrem neuesten Film greift die Regisseurin Bigelow nur eines dieser vielen möglichen Konfliktszenarien auf und zeigt eindrücklich, wie fragil das derzeitige System der nuklearen Abschreckung ist.
Das Pulverfass, auf dem wir sitzen
Bigelow ist ein Film gelungen, der einen bleibenden Eindruck hinterlässt. Das liegt auch an dem Ensemble aus Schauspiel-Größen wie Idris Elba, Rebecca Ferguson, Jared Harris oder Jason Clarke.
Doch wie realistisch ist A House of Dynamite? Die Antwort: sehr.

Keine Zeit
Zum einen wäre da die Frage der Zeit. Das rasante Tempo des Films zeigt, wie wenig davon im atomaren Ernstfall bleiben würde. In A House of Dynamite wird eine Atomrakete von einem U-Boot im Pazifik auf eine Stadt im Herzen der USA abgeschossen. Keine 20 Minuten würde ein solcher Angriff benötigen. Dabei ist dieses von Bigelow ausgewählte Szenario relativ konservativ: Atomar bestückte Unterseeboote, die in Küstennähe lauern, können dort in nur wenigen Minuten ganze Millionenstädte zerstören.
Kein Schutz
Der Film zeigt auch realistisch, wie wenig Raketenabwehr gegen einen atomaren Angriff nutzt. Selbst einen einzigen atomaren Flugkörper abzufangen, ist sehr unwahrscheinlich. Und im Zeitalter von Launch-on-Warning reicht eben eine einzelne Rakete, um eine Eskalationsspirale auszulösen, die zum Ende der Menschheit führt.
Keine Logik
A House of Dynamite entblößt auch die inhärente Irrationalität des Systems der nuklearen Abschreckung. Keine Zeit, kein Schutz, keine Lösungen, dafür: Panik. Kein Mensch kann in einer solchen Situation rational handeln. Eiskalt deckt der Film auf, wie machtlos die Mächtigsten in solch einer Krise wären, wie willkürlich sie ihre Entscheidungen treffen müssten. All die Milliarden, die seit 80 Jahren in das nukleare System gepackt werden, würden dem Präsidenten in einem solchen Szenario keine rationalen Optionen bieten können.
Ein Blockbuster, der aufklärt – zumindest teilweise
Der Film erzählt hauptsächlich die Geschichte der letzten Minuten der politischen Führung im Weißen Haus. Er zeigt nicht das Schicksal der Milliarden, die den atomaren Massentod sterben würden. Ähnlich wie Oppenheimer bleibt House of Dynamite somit in den humanitären Konsequenzen von Atomwaffen vage und vermeidet die Perspektive der Betroffenen.
Trotzdem: Klare Film-Empfehlung
A House of Dynamite ist realistisch, weil er auf harten Fakten fundiert. Zumindest der Drehbuchautor Noah Oppenheim muss „72 Minuten bis zur Vernichtung“ von Annie Jacobsen gelesen haben. Minutiös dekliniert der Film die militärisch-politischen Prozesse und zeigt, wie schnell das Kartenhaus der nuklearen Abschreckung im Krisenfall in sich zusammenfallen würde.
Was in dem Film eher unrealistisch wirkt, ist die kompetente Ausstrahlung der politischen Führung. Idris Elba spielt einen US-Präsidenten, wie man ihn noch aus den Blockbustern der Neunzigerjahre kennt: charmant, intelligent, reflektiert. Kurz: Mit der heutigen Lage kaum zu vergleichen.
„Das ist Wahnsinn“, ruft Elba in dem Film, während ihm die militärischen Optionen zum atomaren Gegenschlag präsentiert werden. „Nein, Mr. President“, antwortet sein General, „das ist die Realität.“
In ausgewählten Kinos und ab dem 24. Oktober bei Netflix.