Atombombenabwürfe – Bericht zur Diskussion vom 5. Nov.

In der Online-Veranstaltung zum Thema Atombombenabwürfe teilten Suzuka Nakamura, Akira Kawasaki und Yuumi Sato ihre Expertise und Erfahrungen. Die Diskussionen umfassten verschiedene Schwerpunkte, wie geschichtliche Hintergründe, Aufarbeitungsmaßnahmen und aktuelle Diskurse.

Jedes Land kann von Atombombenangriffen betroffen sein, solange es Atomwaffen gibt” – Akira Kawasaki

Die Atombombenabwürfe auf Hiroshima und Nagasaki töteten durch Hitze, Druckwelle und radioaktive Strahlung ca. 1/3 der Stadtbevölkerung sofort. All jene, die dabei nicht getötet wurden, leiden bis heute weiter. Die Mehrheit der Betroffenen starb erst in den Jahren nach 1945 an Langzeitfolgen der Exposition der Strahlung. Jahrelang litten die Betroffenen unter der Strahlenkrankheit und dem Unwissen darüber. Akira Kawasaki beschreibt wie Japan in den Jahren 1945 bis 1951 unter der Herrschaft der USA stand, welche versuchten die Auswirkungen der Atomwaffenabwürfen geheim zu halten. Er vergleicht die Folgen für die Überlebenden mit einer „Landmine im eigenen Körper“, von der man nie wisse, wann sie explodiert. 

Die Überlebenden – Hibakusha, auf Japanisch genannt –, die heute noch leben, sind bereits über 85 Jahre alt, sodass die Erinnerungen an die Bombenabwürfe immer mehr verschwinden und Berichte aus erster Hand weiter abnehmen. Wir sind somit wohl die letzte Generation, die den Überlebenden der Atombombenabwürfe zuhören kann.

 

Akira Kawasaki (Peace Boat, ICAN)

Akira, der schon lange und führend bei Peace Boat arbeitet, gibt zunächst einen kurzen Überblick über die Atombombenabwürfe auf Hiroshima und Nagasaki (siehe Einleitung).

Anschließend berichtet er von 1954, als auf den Marshallinseln eine Wasserstoffbombe mit einer vielfachen Sprengkraft von „Little/Big Boy“ getestet wurde. Auch ein japanisches Fischerboot war betroffen, das zu der Zeit unglücklicherweise vor Ort war. Dieser Vorfall, „Lucky Dragon” genannt, trug erheblich zum Start einer gesellschaftlichen Debatte und der japanischen Anti-Atom-Bewegung Mitte der 50er Jahre bei. Nachdem die Besatzungszeit der US-Amerikaner eine solche Bewegung und viel Wissen um die Atombombenabwürfe unterdrückte, wurden jetzt die Forderungen nach Kompensationszahlungen für Betroffene sowie die Abschaffung von Atomwaffen laut.

Akira erzählt, dass sich diese Kompensationsforderung nicht an die US-amerikanische, sondern an die japanische Regierung richtet, und liest das als ein in der japanischen Gesellschaft seltenes Eingeständnis der Kriegsschuld. Die japanische Regierung trägt manche ärztlichen Rechnungen der Überlebenden, aber nennt diese Maßnahme Sozialleistung, statt Entschädigung oder Anerkennung. Damit wird eine weitergehende Verantwortung abgelehnt. Noch weniger werden aber insbesondere koreanische und chinesische Kriegsgefangene und Zwangsarbeitende beachtet. Sie werden nicht als Hibakusha mitgezählt und finden noch weniger Unterstützung. Dies drückt noch heute auf die diplomatischen Beziehungen zu Japans Nachbarn.

Im zweiten Teil der Diskussion beleuchtet Akira die Bedeutung von Kernkraftwerken, die als ein Symbol für die ökonomische Wiederauflebung und Versöhnung mit den USA nach dem Zweiten Weltkrieg stehen. Doch das ändert sich mit dem Unglück von Fukushima. Die ca. eine Millionen Menschen, die der Strahlung ausgesetzt waren, erzählen nichts über ihr Leid, aus Angst vor Diskriminierung oder sozialer Ächtung. Auch Regierungsbeamt*innen entmutigten Betroffene ihr Leid zu teilen, um so ein schlechtes internationales Abbild zu verhindern.
Akira zeigt hier Parallelen mit den Überlebenden der Atombombenabwürfe auf, die anfangs ebenfalls Angst hatten, von ihren Erfahrungen zu berichten. Erst nach langen sozialen Kämpfen und viel erlebter Stigmatisierung sind sie heute hoch angesehen und treten mit ihren Lebensgeschichten in Schulen auf.
Des Weiteren spricht er darüber, dass angesichts des fortschreitenden Klimawandels und hohen Energiepreise die Diskussion über zivile Verwendung von Kernkraft auch in Japan sehr aktuell ist. Während in der Zivilbevölkerung die Bedenken auch aufgrund des Fukushima-Unglücks überwiegen, existiert ein starker politischer Wille, die übriggebliebenen Kernkraftwerke und andere nukleare Technologien am Leben zu erhalten.

 

Yuumi Sato (HOPe)

Yuumi ist Jugendbotschafterin für HOPe, der Hiroshima Organization for Global Peace. Ihre persönliche Verbundenheit mit Hiroshima ist tief und weitreichend: ihre Großmutter lebte in der Stadt und war Zeugin des Atombombenabwurfes 1945, ihre Mutter wurde dort geboren und nachdem sie selbst mit 6 Jahren nach Hiroshima zog, beschreibt sie die Stadt als sehr friedlich und sicher.

In der Diskussion spricht Yuumi hauptsächlich über den geschichtlichen Umgang Japans mit dem Zweiten Weltkrieg und den Atombombenabwürfen. Sie erzählt aus eigener Erfahrung, dass in der Schule und im Geschichtsunterricht der Fokus auf den Atombomben und der nuklearen Belastung für die Zivilbevölkerung liegt. Dass Japan nicht nur Opfer, sondern auch Aggressor im Krieg war, geht völlig unter, so berichtet Yuumi. Dies hat zur Folge, dass im Unterricht keine Möglichkeit der Diskussion und Reflexion besteht und dadurch auch keine große zivilgesellschaftliche Bewegung, die sich für eine reflektierte Aufarbeitung der Geschehnisse einsetzt, entsteht.

 

Suzuka Nakamura (Know Nukes Tokyo)

Suzuka, die Know Nukes Tokyo mitgegründet hat, erzählt uns zuerst, dass ihre Großmutter kurz nach der Explosion nach Nagasaki kam und dort den schrecklichen Anblick ihrer Heimatstadt sah. Sie hat sich ihr Leben lang nie als Hibakusha identifiziert oder gefühlt. Deswegen hat sie auch nie ihre Geschichte erzählt.

In der Schule organisierte Suzuka wie viele andere Menschen Unterschriftenkampagnen, doch zweifelte deren Effektivität als Beitrag zur globalen Abrüstung an. Deswegen schuf sie einen eigenen Verein, der ihrer Analyse nach die Lücken der fehlenden Bildung und öffentlichen Diskussion um Atomwaffen, insbesondere ihrer Rolle in der heutigen Politik in Japan, zu schließen versucht.

Wann immer sie in ihrer Lobby- und Bildungsarbeit zum Atomwaffenverbotsvertrag (AVV) auf Menschen trifft, die den Vertrag noch nicht kannten, sind diese perplex, warum Japan nicht beigetreten ist. Die aktuelle Regierung setzt auf die erweiterte Abschreckung der USA und hält den AVV für nicht hilfreich zur Abrüstung. Das Ziel der Welt ohne Atomwaffen betonen jedoch alle Regierungen Japans jedes Jahr beim Gedenken an die Atombombenabwürfe.

 

Fazit 

In der abschließenden Diskussion betonten die Redner*innen noch einmal, dass das Sprechen über die Vorfälle ein langer Prozess war, den die Überlebenden durchlaufen mussten. Diskriminiert zu werden, weil man überlebt hat, stand an der Tagesordnung. Deshalb schätzen sie es umso mehr, dass das heute nicht mehr der Fall ist. Die Überlebenden zu unterstützen, wenn sie über ihre Erfahrungen sprechen, sei demnach essenziell. Akira unterstreicht in diesem Zusammenhang, dass die Geschichte der Hibakusha ihm zeige, dass Unterstützung und Hilfe nur durch die Stimme der Bevölkerung erreicht werden kann, die Forderungen an eine Regierung stellen. Auch Artikel 6 und 7 des AVV sind leer, ohne die Zivilgesellschaft, die sie einfordert.

Auch der AVV war ein wichtiges Thema in der Diskussion: Akira sieht zwei Hauptgründe, warum Japan diesen noch nicht unterschrieben hat: Die (mögliche) Bedrohung von Japans Nachbarstaaten China und Nordkorea. Suzuka unterstreicht, dass die Zivilgesellschaft Japans sich des Vertrags nicht wirklich bewusst ist, weshalb es so wichtig sei, Aufmerksamkeit auf diesen zu lenken. Dies kann vor allem durch Aktionen erreicht werden, wie Ausstellungen und Festivals, die die Zivilgesellschaft direkt erreichen. Hierzu können Arbeitsgruppen wichtig sein, die sich (international) zusammenschließen, um gemeinsam ein Ziel zu verfolgen, so Suzuka. 

Auch an dieser Stelle ein großes Danke an all diejenigen, die Teil der Veranstaltung waren. 

 

Geschrieben von Leah Engel, Marian Losse, Paula Bonara und Janina Rüther