Offener Brief zum „Sondervermögen Bundeswehr“

ICAN Deutschland wendet sich mit einem Offenen Brief an alle Abgeordneten von SPD; Grüne, FDP, Linke und CDU/CSU und appelliert gegen das Sondervermögen für die Bundeswehr zu stimmen.

Nachfolgend ist der offene Brief zu lesen sowie als PDF abrufbar.

Wir sind zutiefst erschüttert über den völkerrechtswidrigen Angriffskrieg Russlands gegen die Ukraine, das rasante Tempo der Eskalation und die damit wachsende Gefahr eines Einsatzes atomarer Massenvernichtungswaffen.

In den letzten Wochen konnten wir infolge des russischen Angriffs eine reflexartige Reaktion im öffentlichen Diskurs wahrnehmen, in der manche nicht nur mehr militärische Aufrüstung fordern, sondern sogar die Konsequenzen eines atomaren Schlagabtausches verharmlosen. Nun steht die Abstimmung für das “Sondervermögen Bundeswehr” mit einem Budget von 100 Milliarden Euro und den entsprechenden Änderungen des Grundgesetzes an.

Die Verabschiedung des Sondervermögens geht mit der Anschaffung des F-35 Kampfjets als Nachfolger des veralteten Tornados für die nukleare Teilhabe Deutschlands einher. Mit diesen Flugzeugen würden deutsche Pilot*innen im Ernstfall US-Atombomben über strategische Ziele in Europa abwerfen. Bei diesen Zielen handelt es sich um urbane Gebiete – mitunter Metropolen, in denen Millionen Menschen leben.

Die geplante Modernisierung und Aufrüstung durch die Anschaffung der F-35 sendet ein dreifach verheerendes Signal: Zum einen drängt sie das militärische Gegenüber, die eigene Aufrüstung, nuklear wie konventionell, weiter anzukurbeln. Zum anderen bestärkt sie die Motivation derjenigen Staaten, die immer konsequenter eine Anschaffung von eigenen Atomwaffen erwägen. Nicht zuletzt zementiert sie die nukleare Teilhabe Deutschlands für Jahrzehnte und unterläuft damit die Glaubwürdigkeit der Bundesrepublik in internationalen Foren der Abrüstung, Rüstungskontrolle und Nichtverbreitung.

Die nukleare Teilhabe verschafft Deutschland nicht mehr Sicherheit – das Gegenteil ist der Fall.

Statt der Stärkung der nuklearen Aufrüstung muss die Bundesregierung gerade jetzt zeigen, dass sie weiterhin an das im Koalitionsvertrag formulierte Ziel eines “Deutschlands frei von Atomwaffen” festhält und dafür engagierte Initiativen ergreifen. Zu den nächsten Schritten hierfür zählen:

  • Mit ranghoher Präsenz die anstehende Staatenkonferenz vom 21.- 23. Juni in Wien als Beobachter begleiten
  • Auf der Überprüfungskonferenz des Nuklearen Nichtverbreitungsvertrags darauf hinwirken, dass die humanitären Folgen von Atomwaffen anerkannt werden und die Abrüstungssäule des Vertragsregimes gestärkt wird
  • Langfristig Konfliktbearbeitung und Prävention stärken und auf den Abzug der Atomwaffen in Deutschland hinwirken

Gerade jetzt muss die Bundesrepublik in nachhaltige Lösungen investieren für die Herausforderungen, denen wir in der internationalen Politik gegenüberstehen: Erosion von internationalen Verträgen, mangelnde Regularien für moderne Waffensysteme, abnehmendes zwischenstaatliches Vertrauen und zunehmend aggressives Verhalten.

Die Welt von morgen wartet mit zunehmend komplexeren Herausforderungen auf uns, die nur durch Kooperation, Diplomatie und starke internationale Organisationen bewältigt werden können. Schon jetzt zeigen Klimakrise und Pandemiebekämpfung, wie viele Ressourcen wir benötigen, um eine adäquate Sicherheit herzustellen.

Das “Sondervermögen Bundeswehr” droht nicht nur, unverhältnismäßig in unser Grundgesetz einzugreifen, sodass künftige Parlamentarier*innen und ganze Generationen weniger Spielraum in der Ausgestaltung deutscher Außen- und Sicherheitspolitik haben. Auch mangelt es an einer tiefgreifenden politischen, gesellschaftlichen und wissenschaftlichen Debatte und eines gemeinsamen Verständnisses hinsichtlich des Inhalts sowie der Auswirkungen der Grundgesetzänderung.

Die Reaktion auf den Angriffskrieg in der Ukraine darf das grundsätzliche Ziel eines Deutschlands und einer Welt frei von Atomwaffen nicht in Frage stellen. Sie darf die Bundesrepublik nicht in der Sackgasse der nuklearen Abschreckungsideologie gefangen halten. Sie muss stattdessen eine breite Debatte über die Risiken und die Folgen von nuklearer Abschreckung und Atomkrieg anstoßen.

Wir appellieren daher an Sie: Stimmen Sie gegen die nukleare Aufrüstung und das 100-Milliarden-Sondervermögen und setzen Sie sich für eine langfristig nachhaltige und humanistische Sicherheitspolitik in Deutschland, Europa und der Welt ein.

 

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