Bühne auf dem Civil Societyforum in Wien

Wiener Konferenz startet Verbotsinitiative

Weitgehend unbemerkt von der Weltöffentlichkeit hat eine Gruppe motivierter Staaten den Boden für einen überfälligen völkerrechtlichen Vertrag zum Verbot von Atomwaffen bereitet. Deutschland versucht ein Atomwaffenverbot zu verhindern. Noch.

von Leo Hoffmann-Axthelm

Fast 70 Jahre nach der ersten Resolution der Vereinten Nationen, die bereits zur nuklearen Abrüstung aufrief; 40 Jahre nach Inkrafttreten des Atomwaffensperrvertrag, 25 Jahre nach dem Ende des Kalten Krieges wissen alle: nukleare Abrüstung ist unmöglich. Dieser Mythos hat sich tief eingebrannt. Wir haben uns damit abgefunden. Und ignorieren praktischerweise die Risiken, die 16.000 Atomwaffen unweigerlich mit sich bringen.

Dieser Pessimismus ist so tief verwurzelt, dass nicht nur die allgemeine Bevölkerung, sondern auch Politiker, Medien, Wissenschaftler und Diplomaten keine Energie auf nukleare Abrüstung verschwenden. Dies ist aber nicht nur brandgefährlich, sondern auch fehlgeleitet. Es tut sich sehr wohl etwas in der nuklearen Abrüstung. Es wird spannend. Wir sollten dabei sein. Doch was ist passiert?

158 Staaten haben sich Anfang der Woche in der Wiener Hofburg versammelt, wo vor genau 200 Jahren der Wiener Congress stattfand. Die Erwartungen waren gering. Es sollte die dritte Konferenz dieser Art werden, nach vorhergehenden Treffen in Norwegen 2013 und Mexiko 2014. Die dritte nüchterne Bestandsaufnahme von den humanitären Auswirkungen von Atomwaffen. Hiroshima-Überlebende schilderten ihre grauenvollen Erinnerungen, Atomtest-Opfer das erlittene Unrecht. Wissenschaftler aller Couleur versuchten den anwesenden Staatenvertretern mittels harter Fakten und Studien abermals begreiflich zu machen, wie hilflos Rettungskräfte sein würden, wie unvorstellbar das Leid. Und wie groß das Risiko, dass es tatsächlich so weit kommt.

Nach Jahrzehnten der Prokrastination, hunderten Konferenzen, tausenden Versprechungen, ist das Resultat jedoch ernüchternd: die ständig tagende UN-Abrüstungskonferenz hat sich in 18 Jahren nicht einmal auf eine Tagesordnung geeinigt, der 1996 angenommene Test-Stopp-Vertrag ist immernoch nicht in Kraft gesetzt. Die alle paar Jahre per Konsens erneuerten Aktionspläne im Nichtverbreitungsvertrag werden ebensowenig umgesetzt. Und die USA planen mal eben eine Billion Dollar für die Modernisierung ihres Arsenals ein ($1.000.000.000.000) – die Zahl versteht sich vor der bevorstehenden Kostenexplosion.

Kein Wunder, dass immer mehr Staaten die Glaubwürdigkeit dieser Abrüstungsversprechen in Frage stellen. In der multipolaren Welt, die dem Mauerfall folgte, haben wir neun Atomwaffenstaaten, manche extrem instabil. Mehrfach – niemand weiß wie häufig – sind wir der Katastrophe durch schieres Glück entronnen, sogar zu Zeiten der ach-so-stabilen Blockkonfrontation. Je länger wir warten, desto größer die Wahrscheinlichkeit, dass etwas schief geht.

Ist der Pessimismus also gerechtfertigt? Ja und Nein. Denn das Maß ist voll. Die bisherigen Abrüstungsbemühungen waren so scheinheilig, dass es nun zu einem fundamentalen Strategiewechsel kommen musste. Jene Staaten, die ohnehin keine Atomwaffen haben, nehmen ihr Schicksal selbst in die Hand. Anstatt immer nur an die Atomwaffenstaaten zu appellieren, ihre völkerrechtlichen und moralischen Pflichten einzuhalten, hat eine Mehrheit der Staaten in Wien klar gesagt, dass sie nicht bereit sind, länger auf die Atomwaffenstaaten zu warten.

44 Staaten gingen einen Schritt weiter und haben sich für einen neuen völkerrechtlichen Vertrag ausgesprochen, der Atomwaffen eindeutig verbietet. Verhandlungen zu diesem Vertrag können jederzeit beginnen. Kein Atomwaffenstaat kann die Mehrheit der Staatengemeinschaft davon abhalten, weiteres Völkerrecht zu kodifizieren. Die Unvereinbarkeit von Atomwaffen mit dem humanitären Völkerrecht ist den Atomwaffenstaaten noch nicht eindeutig genug? Ein Atomwaffenverbot ist die einzige Lösung, und die logische, ja unausweichliche Konsequenz der erdrückenden Beweislast, welche die Konferenz über die humanitären Auswirkungen von Atomwaffen zusammengetragen hat.

Österreich hat sich verbürgt, gemeinsam mit allen relevanten Akteuren eine Stigmatisierung, ein Verbot, und die Abschaffung von Atomwaffen im Lichte ihrer humanitären Auswirkungen voranzutreiben. Weitere Staaten sind eingeladen, sich diesem ‚Pledge‘ anzuschließen. Jetzt da die Katze aus dem Sack ist und ein Verbotsvertrag eine tatsächliche und realistische Option darstellt, werden sich weit mehr als 44 Staaten anschließen, die bisher davor zurückschreckten, öffentlich die Initiative für einen so weitreichenden Schritt zu ergreifen.

Spannende Zeiten stehen bevor. Die Erfahrung zeigt, dass multilaterale Verträge auch dann Wirkung entfalten, wenn nicht alle Staaten beitreten. Zwar sind die Atomwaffenstaaten willkommen, man wird ihnen jedoch nicht länger erlauben, diesen Prozess zu blockieren. Wir schreiten auch ohne sie voran, wie schon bei den Konventionen zu Landminen, Streumunition.

Bisher waren Atomwaffen die einzigen Massenvernichtungswaffen, die noch keinem expliziten völkerrechtlichen Verbot unterlagen – ein Versagen unserer kollektiven Verantwortung. Dieser Skandal sollte uns alle dazu bewegen, Österreich nach Kräften zu unterstützen. Das bedeutet jede Menge Arbeit. Denn die deutsche Bundesregierung hat sich in Wien noch gegen ein Verbot von Atomwaffen gestellt.