Bericht zur Nukipedia II 2023

In der Herbst-Nukipedia haben wir uns mit nuklearer Gerechtigkeit und den Grundlagen rund um Atomwaffen beschäftigt. Dabei standen vor allem die nukleare Kette und die davon Betroffenen im Vordergrund. Wir haben uns damit auseinandergesetzt, wie Atomwaffen produziert, getestet und eingesetzt wurden und werden – und mit den katastrophalen Folgen für Menschen und Umwelt. Deshalb beschäftigten wir uns mit den verschiedenen Stationen vom Uranabbau bis zu den Atomwaffentests und -einsätzen. Denn die über 2.000 weltweit durchgeführten Atomwaffentests fanden insbesondere in (ehemaligen) Kolonien statt sowie auf den Gebieten indigener Völker und politischer Minderheiten – und beeinträchtigen noch immer massiv das Leben der Betroffenen. Vor allem der Kampf der Überlebenden um Anerkennung, Entschädigung und für eine atomwaffenfreie Welt wurde hierbei beleuchtet. Ein Kampf, der bei den aktuellen weltpolitischen Entwicklungen immer wichtiger wird und uns alle etwas angeht. Während der Nukipedia hatten die Teilnehmenden die Möglichkeit mit Menschen aus Algerien, Kasachstan, Japan und Norwegen über Atomwaffen und nukleare Gerechtigkeit zu sprechen. 

 

Freitag, 03.11.

Das Workshopwochenende wurde, nach einer Begrüßungs- und Vorstellungsrunde, von Sebastian Niemetz (ICAN Deutschland) eingeleitet, der ICAN vorstellte und die Wichtigkeit des Engagements im Bereich der nuklearen Abrüstung hervorhob. Katharina von Busch (ICAN Deutschland) leitete danach eine Übung zum Thema “Basiswissen Atomwaffen: Staaten und Arsenale” an. Hierbei konnten die Teilnehmenden ihr Wissen prüfen und versuchen, gemeinsam eine Matrix über die Atomwaffenstaaten zu legen. Mit Karten unter anderem zur Anzahl der Atomwaffen in den Ländern und zu Positionen zum Atomwaffenverbotsvertrag (AVV) wurde so nach und nach ein Überblick über die Atomwaffenstaaten erarbeitet. 

 

Samstag, 04.11.

Nachdem am Vortag die Übersicht erarbeitet wurde, begann der Samstag mit Jakob Knape (IPPNW), der derzeit Medizin studiert, und seinem Vortrag “Wie wirkt eine Atombombe? Radioaktive Strahlung und ihre Folgen für Menschen und Umwelt bei Einsatz und Test”. In diesem teilte er sein Wissen über die humanitären Auswirkungen einer Atombombenexplosion. Anhand einer Simulation konnten die Teilnehmenden sehen, in welchem Ausmaß Berlin zerstört werden würde, wenn eine Bombe einschlagen würde. Jakob beschrieb auch, wie die Auswirkungen auf den Menschen sich mit zunehmender Distanz zum Einschlagsort verändern. Unser Fazit: Niemand kann sich vor einer Atombombe schützen und auch kilometerweit entfernt hätte die Explosion noch körperliche Auswirkungen. 

Im Anschluss erklärte Sophie Kretzschmar (Nuclear Verification and Disarmament Group der RWTH Aachen) die physikalischen Grundlagen von Atombomben für einen grundlegenden Wissensstand über Atomphysik. Sophie erklärte die unterschiedlichen Arten von Atombomben und ging darauf ein, wie zum Beispiel für Atomenergie mit Uran gearbeitet wird. Hierbei stellt sie fest, dass Uran in der Aufbereitung für Atomkraftwerke nicht weit von dem Uran entfernt ist, welches für Atomwaffen verwendet werden kann. Zudem zeigte sie am Beispiel von Südafrika auf, wie ein ehemaliger Atomwaffenstaat bereits erfolgreich abgerüstet hat und welche Lehren sich daraus ziehen lassen,

In der folgenden Gruppenarbeit zu dem Thema “Nuclear Survivors: Die nukleare Kette weltweit”, geleitet von Juliane Hauschulz (ICAN/IPPNW Deutschland) und Janina Rüther (ICAN Deutschland), haben die Teilnehmenden unterschiedliche Stationen der nuklearen Kette bearbeitet. Dazu erhielt jede Gruppe eine Box mit Broschüren, Zeitungsberichten, Zitaten und weiterem Material zu Bereichen von Uranabbau bis Atommüll. Gemeinsam konnten die Gruppen dann ihr Thema in der nuklearen Kette einordnen und interessante Informationen teilen. 

Aigerim Seitenova (Steppe Organization for Peace (STOP): Qazaq Youth Initiative for Nuclear Justice, Kasachstan) hat in ihrem Workshop vor allem über die Atomwaffentests in Kasachstan gesprochen. Aigerim ist Überlebende der dritten Generation der Atomwaffentests in Kasachstan. 1949 führte die Sowjetunion ihren ersten Atomwaffentest in der kasachischen Steppe durch. Über einen Zeitraum von 40 Jahren detonierte die UdSSR 467 Atombomben in Semipalatinsk (heute: Semei). Die Auswirkungen der Strahlung waren für die Bevölkerung schnell spürbar, wurden jedoch nie ernst genommen, da sie auch von der Regierung verheimlicht wurden. Sie beschreibt, wie das Trauma in Familien noch immer tief sitzt und wie das Thema nur langsam aufgearbeitet wird. In dem Workshop haben die Teilnehmenden Wege gefunden, wie jede*r einzelne*r einen Teil zu nukleare Gerechtigkeit und Abrüstung beitragen kann. Reihum wurden die Ergebnisse vorgetragen, die alle sehr motiviert und außerdem gezeigt haben, dass schon vermeintlich kleine Dinge Großes bewirken können. 

Leila Hennaoui (Hassiba Ben Bouali University, Algerien) war online aus Algerien zugeschaltet. Sie schilderte die Atomwaffentests in Algerien und hat dabei die Perspektive des Globalen Südens auf Nukleare Gerechtigkeit unterstrichen. Das Ziel für sie ist, eine globale und gerechte nukleare Ordnung zu erreichen und dass vergangene nukleare Ungerechtigkeiten aufgearbeitet und entschädigt werden. 

Zum Abschluss des offiziellen Workshoptages gab es einen Austausch mit der Organisation Changemaker Norway, die die englischsprachigen Workshops an dem Tag begleiteten. Die Organisation hat sich zu Beginn kurz vorgestellt, wobei sie über die diversen Themen sprachen, für die sie sich einsetzen. Auch Atomwaffen und das Verbot ist ein Anliegen, für welches sie ihre Reichweite nutzen. In einem gemeinsamen Gespräch wurden die Situationen in Norwegen und Deutschland verglichen, sich über Probleme zivilgesellschaftlicher Vereine ausgetauscht und gegenseitig Tipps gegeben und bestärkt. 

Einen inoffiziellen Abschluss fand der Abend dann bei einem Getränk der Wahl in einer Bar mit musikalischer Begleitung.

 

Sonntag, 05.11.

Der letzte Workshoptag begann mit dem zweiten Teil von “Nuclear Survivors: Die nukleare Kette weltweit”. In diesem wurden die internationale Politik und multilaterale Foren rund um den Atomwaffen(abrüstungs)diskurs in den Fokus gestellt. Angeleitet durch Janina Rüther (ICAN Deutschland) und Juliane Hauschulz (ICAN/IPPNW Deutschland) wurden die Teilnehmenden dazu animiert, in Gruppen die Position eines Staates bei der zweiten Staatenkonferenz zum Atomwaffenverbotsvertrag einzunehmen und ihre Forderungen vorzutragen. Dies geschah durch Reden, die die Teilnehmenden in der Rolle von Diplomat*innen erarbeiteten. 

In der anschließenden Online-Veranstaltung zu Atombombenabwürfen teilten Suzuka Nakamura (Know Nukes Tokyo, Nagasaki), Akira Kawasaki (Peace Boat and ICAN, Tokyo) und Yuumi Sato (HOPe, Hiroshima) ihre Expertise und Erfahrungen. Die Diskussionsthemen umfassten historische Hintergründe, Aufarbeitungsmaßnahmen und aktuelle Diskurse. In Break-Out-Sessions konnten Teilnehmende den Redner*innen Fragen stellen. In der Schlussdiskussion wurde betont, dass das Sprechen über die Vorfälle für Überlebende ein langer Prozess war. Trotz früherer Diskriminierung schätzen sie heute die gestiegene Unterstützung. Die Bedeutung der Unterstützung für Überlebende, die ihre Erfahrungen teilen, wurde als essentiell hervorgehoben. Akira betonte, dass Unterstützung und Hilfe nur durch die Stimme der Bevölkerung erreicht werden können. 

Abschließend reflektierte die Gruppe gemeinsam über das Gelernte. Hierbei stand im Vordergrund, was die Teilnehmenden aus dem Workshop mitnehmen, wie die einzelnen Teile der nuklearen Kette zusammenhängen und Handlungsmöglichkeiten, nuklearer Gerechtigkeit einen Schritt näher zu kommen. Außerdem waren die Teilnehmenden dazu eingeladen, sich der Aktionsplanung des ICAN Deutschland Teams nach dem Workshop anzuschließen, die ein gutes Beispiel für die Realität hinter dem Aktivismus für nukleare Abrüstung bot. 

 

Vielen Dank an die Heinrich-Böll-Stiftung für die freundliche Unterstützung!