Costa Ricas Einsatz für Abrüstung

Ein Gastbeitrag von Dr. Carlos Umaña zu Sicherheitspolitik Costa Ricas.

Costa Rica hat es geschafft sich als Land in Frieden zu etablieren und das in einer Region, welche zu den konfliktreichsten der Welt zählt. Die positiven Entwicklungen des Landes sind an der hohen Alphabetisierungsrate von 98 Prozent zu sehen, einer hohen Lebenserwartung von durchschnittlich 80,1 Jahren und neuerdings auch an der Spitzenplatzierung des „Happy Planet Index“.

Der Begriff „Frieden“ ist hier allgegenwärtig. In Costa Rica befindet sich die University of Peace und es gibt ein Ministerium für Frieden und Gerechtigkeit. Frieden wurde auβerdem als Menschenrecht anerkannt und Costa Ricas Diplomatie beinhaltet eine proaktive Haltung für progressiven Frieden, Abrüstung und klimapolitische Regelungen. Der zweifache Präsident Costa Ricas Oscar Arias verfasste 1986 einen Friedensplan. Dieser half dabei das von Krieg geprägte Mittelamerika zu befrieden. Dafür erhielt Oscar Arias 1987 den Friedensnobelpreis. Costa Rica ist ein groβer Befürworter des Vertrags über den Waffenhandel (Arms Trade Treaty) und hat eine wichtige Rolle in dessen Entstehungs-und Verhandlungsprozess gespielt. Im Bereich der nuklearen Abrüstung initiierte Costa Rica gemeinsam mit Malaysia 1997 ein Konzept für eine Atomwaffenkonvention. Seither ist es eine treibende Kraft in den Anstrengungen zu nukearer Abrüstung: Als Mitglied der 7-Staaten umfassenden Kerngruppe initiierte Costa Rica den Prozess zum Atomwaffenverbotsvertrag. Diplomat*innen aus Costa Rica haben vermehrt eine führende Rolle in Abrüstungsbemühungen eingenommen. Beispielsweise wurde die erste Offene Arbeitsgruppe der UN zu nuklearer Abrüstung (2013) von Botschafterin Dengo geleitet und die Verhandlungen zum Atomwaffenverbotsvertrag von Botschafterin Whyte. Auβerdem nahm Costa Rica eine wichtige Rolle in internationalen klimapolitischen Prozessen ein, beispielsweise 2015 durch die Leitung der Verhandlungen zum Pariser Klimaabkommen von Christiana Figueres.

Costa Rica ist ein demilitarisierter Staat – es ist bekannt dafür, dass es die Armee abgeschafft hat. Dies beeinflusst die vielfältigen diplomatischen Anstrengungen für Frieden in der internationalen Politik. Dieser Zustand trägt maβgeblich zur Neudefinition des Sicherheitsbegriffs bei und beeinflusst wie Internationale Beziehungen vollzogen werden und welches Staatsverständnis sich entwickelt. Costa Rica hinterfragt die Vorstellung, dass ein demilitarisiertes Land schwach und abhängig ist. Es wandelt auch das kollektive Denken zur Beziehung zwischen den Menschen und ihrer Regierung, zu ihren Nachbarn und wie sie sich selbst wahrnehmen.

Die Abschaffung der Armee war ein mutiger Schritt, insbesondere in den 1940er Jahren. Dieser Schritt stellte sich gegen die Vorstellung der Welt wie Sicherheit zu gewährleisten wäre. Manche meinten, dass Costa Rica unter diesen Umständen ein leichtes Opfer darstelle – für jene die es einnehmen wollen. Nach fast 72 Jahren ist dies nicht passiert. Stattdessen hebt sich Costa Rica von der restlichen Welt durch eine besondere Sicherheitspolitik ab.

Demilitarisierung

Dazu muss erwähnt werden, dass Costa Rica nie eine stark militärisch geprägte Kultur hatte. Die Unabhängigkeit wurde nicht kriegerisch erkämpft, sondern Costa Rica profitierte von dem Unabhängigkeitskrieg zwischen Mexiko und Spanien. An dessen Ende wurde die gesamte zentralamerikanische Föderation 1821 autonom. Im Vergleich zu anderen Teilen der sogenannten „Neuen Welt“ sind in Costa Rica keine hohen Ressourcen von Gold oder anderen Rohstoffen vorhanden, welche die kolonisierenden Siedler suchten. So blieben diese selbst vergleichsweise arm und hatten keine Sklaven oder Diener. Die Siedler benötigten und bearbeiteten fruchtbares Land zum Aufbau der Kolonie. Die Eigenschaften von Land und Klima erwiesen sich als günstig für die Landwirtschaft. Deshalb wurden Produkte wie Kaffee oder Bananen aus Costa Rica im 19. Jahrhundert erfolgreich gehandelt. Während in anderen lateinamerikanischen Ländern eine militärische Laufbahn zu sozialem Aufstieg verhalf, fokussierte man sich in Costa Rica auf die Arbeit auf den vielversprechenden Plantagen. Aus diesem Grund war die Figur des Bauern auch vor der Abschaffung des Militärs allgegenwärtiger als die des Soldaten. Dies zeigte sich umso mehr als im Jahr 1856 die militärische Gruppe der Filibuster aus den USA Land in Mittelamerika besetzte. Als diese Gruppe Costa Rica erreichte hatten sie schon alle anderen mittelamerikanischen Länder geplündert. Die costa ricanische Armee war zu diesem Zeitpunkt sehr klein und zum groβen Teil verteidigten Bauern das Land. Eine Legende spricht über den Bauersjungen Juan Santamaria, der während einer Auseinandersetzung verschwand und das Hauptquartier der Filibuster abbrannte. Die Heldenfiguren waren damit nicht Soldaten sondern Bauern. Der Sieg galt nicht einer Armee, sondern den Menschen. Juan Santamaria wurde zur Symbolfigur Costa Ricas – als Gemeinschaft, die über sich hinauswächst, um ihr Land zu verteidigen.

Im Jahr 1944, fast 100 Jahre später, wurde durch mehrere progressive Sozialreformen ein starkes Sozialsystem etabliert. Dieses beinhaltete unteranderem ein Gesundheitssystem unter den Prinzipien von Universalität, Solidarität und Gleichberechtigung. Umfangreiche Arbeitsrechtsreformen sowie verpflichtende und universelle primäre Schulbildung und ein öffentliches Hochschulsystem etabliert. Dies geschah jedoch unter der Regierung der pro-kommunistischen autoritären Partido Republicano Nacional, welche die Wahlen 1948 als ungültig erklärte, da das Ergebnis ihnen schadete. Dieser Konflikt führte zu einem viermonatigen Bürgerkrieg, nach dessen Ende der Oppositionsführer Jose Figueres zum Präsidenten erklärt wurde. Unter seiner Regierung wurde die Armee abgeschafft und die progressiven sozialen Reformen fortgesetzt.

Diese Entscheidungen wurden von vielen als pragmatisches Vorgehen bewertet. Einerseits gewann Figueres durch die Unterstützung externer Militärverbündeten und internen neoliberalen Kräften, die gegen die sozialen Reformen waren. Ohne eine eigene Armee, die in internationalen Konflikten eine Seite einnehmen kann, musste er nie eine militärische Gegenleistung erbringen. Die Abschaffung des Militärs bedeute auch einen möglichen Kontrahenten weniger und somit eine geringere Wahrscheinlichkeit eines Coups. Gleichzeitig verhinderte es auch eine mögliche Intervention und Regime-Change durch die USA, dass zur damaligen Zeit für Costa Rica sehr wahrscheinlich war.

Demilitarisierung war unter der Bevölkerung stark akzeptiert. So konnten autoritäre Strukturen und Konflikte vermieden werden. „Frieden und Entwicklung“ wurden die zentralen Pfeiler von Figueres. Regieren durch militärische Gewaltausübung sollte nie wieder eine Option sein. International wurde dieser Wandel Costa Rica’s als riskant eingeschätzt, da das Land sich potentiell als schwach darstellt. Costa Rica begann seine Außenpolitik einzig und allein auf Diplomatie und in den Beziehungen zu anderen anderen Staaten auszurichten. Das Land verschrieb sich der Akzeptanz des internationalen Rechtsystems als einzige Schutzmaßnahme. Es hatte auch kaum eine andere Wahl. Doch so wurde die Friedenspolitik ein zentraler Bestandteil costa ricanischer Regierungen und auch der Identität jedes und jeder* Einzelnen.

Im nationalen Kontext bedeutet die Abschaffung der Armee, dass mehr Ressourcen im Gesundheits- und Bildungsbereich eingesetzt werden können. Der Groβteil der finanziellen Mittel wurde genutzt, um die Alphabetisierung der Bevölkerung voranzutreiben und Bildung und Zugang zum Gesundheitswesen als Recht zu etablieren. Debatten um das Militär mussten nun nicht mehr geführt werden. Die Aufmerksamkeit, Zeit und Energie von politischen Debatten kann anderen Themen gewidmet werden. Dadurch wurden Anliegen und Programme gefördert, wie beispielsweise ambitionierte klimapolitische Regulierungen und Maβnahmen zum Schutz der Umwelt. Beispielsweise sind 52% von Costa Ricas Landfläche Wald, 25 Prozent Nationalparks und Eco-Tourismus ist ein wachsender Industriezweig. Der Energieverbrauch des Landes kommt fast ausschlieβlich aus erneuerbaren Quellen.

Es soll jedoch erwähnt werden, dass Costa Rica nicht vollkommen frei von internationalen Konflikten war. Beispielsweise kamen in den letzten Jahren mehrere Konflikte an der Grenze zu und mit dem nördlichen Nachbarstaat Nicaragua auf. Diese wurden jedoch alle im Internationalen Gerichtshof beigelegt. Wäre Costa Rica ein militarisiertes Land, so hätte der Umgang mit Konflikten sicher anders ausgesehen.

Frieden neu definieren

Frieden ist nicht nur die Abwesenheit von Konflikt, sondern die nicht gewaltvolle Lösung von Konflikt. Drohungen und Machtdemonstration zu nutzen, um „Frieden zu wahren“ ist kein wirklicher Frieden. Einerseits sind Drohungen nur solang ein wirkungsvolles Mittel wie die andere Seite abgeschreckt ist. Diese Vorstellung von Frieden stößt an ihre Grenzen, wenn die Argumentation der Abschreckung an Glaubwürdigkeit verliert. Wenn Spannungen bestehen kann die Abwesenheit von Konflikt nicht wirklich als Frieden bezeichnet werden. Wenn Menschen unter immerwährender Androhung und Angst leben, besteht weiterhin Gewalt. Wie könnte es auch anders sein unter den vorherrschenden militärischen Strukturen, dessen Existenz eine permanente Machtdemonstration erwartet?

Natürlich bringt Demilitarisierung auch Herausforderungen mit sich. Trotzdem ist es nicht zu übersehen, welchen Effekt es auf die Entwicklung des Landes der letzten Jahrzehnte hatte. Costa Rica verdeutlicht, dass Sicherheit nicht automatisch ein bestehendes Militär benötigt. Wenn wir betrachten wie viele Konflikte durch Militarisierung hervorgerufen und befördert wurden, dann zeigt das, dass das Militär nicht die beschützende Rolle vor Gefahren einnimmt, sondern auch die Gefahr selbst werden kann. Die Covid-19 Pandemie hat die Verwundbarkeit von vielen Gesellschaften aufgezeigt. Jetzt hinterfragen wir auch das dominante Konzept von Sicherheit. Viele Menschenleben fielen der Pandemie schon zum Opfer, Menschen verloren Arbeitsplätze oder ihr zuhause. Konnte das Militär sie davor schützen? Wie helfen die Milliarden Dollar an Investition in teure Waffensysteme den Kranken, Arbeitslosen und Obdachlosen? Wie verhindern diese Prioritäten die tödlichen Folgen eines Virus? Die Staaten, welche die Pandemie gut bewältigen, sind Staaten, die finanzielle Ressourcen und Aufmerksamkeit in das Gesundheits- und Bildungssystem und sozialpolitische Maβnahmen investiert haben. Fortschritt braucht Frieden und wirklicher Frieden ist nicht möglich unter auferlegten Drohungen, sondern durch eine Kultur von Kooperation, Akzeptanz und Inklusion. Frieden wird mit der Zeit möglich, wenn eine starke demokratische Struktur etabliert ist. Dies gelingt durch Politik, welche die Würde des Menschen sicherstellt, indem der Zugang zu einem Gesundheits- und Bildungssystem bereitgestellt wird und alle Grundbedürfnisse gesichert sind.

Ein gemeinschaftliches Miteinander und Rechtsstaatlichkeit sind umso wichtiger in einer Welt, welche immer vernetzter ist und in der das Recht des Stärkeren immer irrelevanter wird. Der Fortschritt der gesamten Menschheit ist bestimmt durch Bildung, Kooperation und Inklusion. Wenn wir den Klimawandel und Atomwaffen, die zwei menschengemachten existentiellen Bedrohungen, überstehen wollen, dann müssen wir die Bedeutung von Frieden ernst nehmen und wirklichem Frieden eine Chance geben.

Carlos Umaña ist Präsident der IPPNW Costa Rica. Er ist ehemaliger Gesundheitsbeauftragter des costaricanischen Gesundheitsministeriums und Facharzt für Geburtshilfe und Gynäkologie. Er engagiert sich mit dem costaricanischen Außenministerium und anderen lokalen, regionalen und globalen Organisationen für nukleare Abrüstung.