Die „kleinen“ pazifischen Inseln

Empowerment und Rolle der marginalisierten Staaten bei der nuklearen Abrüstung und dem Voranbringen des AVV

Die „kleinen“ pazifischen Inseln und Völker hatten lange eine außergewöhnliche Verbindung zu Atomwaffen, ohne ein Mitspracherecht zu haben. Als Territorien oder Kolonien der nach dem Zweiten Weltkrieg atomar aufrüstenden Staaten wie den USA, Großbritannien und Frankreich wurden die kleinen Atolle im Pazifischen Ozean für die Atomwaffentestprogramme dieser Länder genutzt. Die USA testeten Mitte der 1940er bis Anfang der 1950er Jahre auf den Marshallinseln (Teil des UN-Treuhandgebiets, das den USA überlassen wurde) Atomwaffen. Weitere Tests der USA und Großbritannien fanden auf den Inseln im heutigen Kiribati statt und auch Frankreich nutzte seine Kolonie Maohi Nui (Französisch-Polynesien) dreißig Jahre lang, von 1966 bis 1996, für atmosphärische und unterirdische Tests. Alle diese Atomtests haben bis heute Auswirkungen auf Gesundheit und Umwelt.

Widerstand gegen Atomtests

In den 1970er Jahren lernte ich das zivilgesellschaftliche Engagement gegen die Tests als studentisches Mitglied der Bewegung für einen atomwaffenfreien und unabhängigen Pazifik (NFIP) kennen. Mit ICAN habe ich diesen Aktivismus neu betrachtet und mich mit aktuell wirksamen Strategien, um auf die Gefahr durch Nuklearwaffen aufmerksam zu machen, auseinandergesetzt.

Die Bewegung für einen atomwaffenfreien und unabhängigen Pazifik war eine pazifikweite Bewegung, an der viele Länder, Kulturen und Völker beteiligt waren. Geeint war sie im Widerstand gegen die Tests, insbesondere während der langen Zeit der französischen Atomtests. Sie wurde angeführt von Kirchen, Studenten- und Frauenorganisationen, Gewerkschaften, regionalen Institutionen wie der University of the South Pacific und Frauenorganisationen wie der Young Women’s Christian Association. Pazifische Führungspersönlichkeiten nutzten nach der Unabhängigkeit ihre staatlichen Stimmen in den Vereinten Nationen, um sich gegen Atomwaffentests auszusprechen.

Obwohl sich viele pazifische Akteure gegen Atomwaffentests einsetzten, konnten wir die Atomtests nicht stoppen. Internationale Klagen vor dem Internationalen Gerichtshof gegen Atomtests führten zu Urteilen, die nicht umgesetzt wurden. Bis zum Inkrafttreten des Atomwaffenverbotsvertrags gab es kein internationales Rechtsinstrument, das verurteilte, was die pazifischen Inselbewohner erlebten – die moralischen, ethischen und humanitären Auswirkungen von Atomwaffen.
Die Menschen auf den Marshallinseln, Kiribati und Moahi Nui haben diese humanitären Konsequenzen selbst erfahren. Es kam zu Todesfällen und Krankheiten bei der pazifischen Bevölkerung, einschließlich der indigenen Bevölkerung in Australien. Auf pazifischen Frauenkonferenzen hörten wir von den gesundheitlichen Auswirkungen der Atomtests auf Frauen. Frauenorganisationen in Fidschi und anderen pazifischen Ländern machten die Atomtests und die Hinterlassenschaft der Atomtests international zu einem wichtigen Thema.

Die Humanitäre Initiative gegen Atomwaffen, die ICAN-Kampagne und schließlich der Atomwaffenverbotsvertrag, welcher die Auswirkungen und humanitären Folgen anerkannten, sprachen nun endlich das an, was viele von uns wussten: dass Atomwaffen keine Existenzberechtigung haben. Wir können nicht aus Gründen der Verteidigung oder Sicherheit für den Einsatz von Atomwaffen argumentieren, denn ihre Auswirkungen stellen eine existenzielle Bedrohung für jeden Menschen und das Leben auf unserem Planeten dar.

Lehren aus der pazifikweiten Anti-Atomkraft-Bewegung

1. Politischer Wille, Verantwortung und Solidarität sind wichtig. Selbst kleine Gruppen von Menschen in Ländern mit wenig oder gar keiner Kommunikation können eine mächtige Stimme sein. Das haben die Völker und Führer der pazifischen Inseln gezeigt. Obwohl viele Bewohner der pazifischen Inseln und Opfer von Atomtests unter fremder Herrschaft in Kolonialgebieten lebten, leisteten sie starken Widerstand gegen das Recht externer, mächtiger Staaten, Atomtests in ihrer pazifischen Heimat und Umwelt durchzuführen – und beides dauerhaft radioaktiv zu schädigen.
Viele d
ieser Proteste hatten keinen Einfluss auf die Teststaaten. Die Stimmen wurden nicht erhört. Frauen aus Palau gingen später in den US-Kongress, um gegen die Militarisierung ihrer Inseln zu protestieren. Anführer der Moahi Nui mussten ins Exil und ins Gefängnis, weil sie gegen die französischen Tests im Pazifik protestierten. Im Jahr 2021 ist Moahi Nui immer noch eine französische Kolonie, und die Menschen in Französisch-Polynesien leiden immer noch unter den Auswirkungen der Atomtests.
Pazifische Inselbewohner aus der ganzen Region schlossen sich gegen französische Atomtests zusammen. Diese einheitliche Position wird auch jetzt, 50 Jahre nach den Tests, zum Ausdruck gebracht, da viele unabhängige Pazifikstaaten für die Annahme und Ratifizierung des
AVV gestimmt haben. Als Vertragsstaaten können die pazifischen Inselstaaten nun gemeinsam mit der internationalen Gemeinschaft handeln, um den Prozess der nuklearen Abrüstung voranzutreiben.

2. Nukleare Gerechtigkeit ist ein langer und harter Weg und braucht die Zusammenarbeit der gesamten Zivilgesellschaft der Welt. Im Pazifik besteht auch Jahrzehnte nach den letzten Atomtests ein tödliches nukleares Erbe. Es gibt weiterhin gesundheitliche, soziale, psychologische und ökologische Schäden und Risiken durch die Atomtests. Wir brauchen das gemeinsame Handeln aller Regionen der Welt, damit sich weitere mächtige Staaten dem AVV anschließen.

Alle Stimmen sind wichtig. Wir brauchen die Zivilgesellschaft der Atomwaffenstaaten und ihrer Verbündeten, um ihre Länder an die humanitären Folgen der Atomtests und das Verbot dieser Waffen zu erinnern. Wir alle sind stärker, wenn wir zusammenarbeiten. Wir brauchen jetzt auch die mächtigen Staaten, um ihre Rüstungspolitik zu entnuklearisieren. Im fernen Pazifik hatten wir das Gefühl, dass die mächtigen Atomteststaaten sich nicht darum scherten. Und das taten sie wirklich nicht. Staaten, die Verteidigung und Sicherheit immer noch durch Atomwaffen rechtfertigen, müssen aufstehen und die Verantwortung dafür übernehmen, was die Politik ihrer Länder verursacht: ein irreparables Risiko für den Rest der Welt.

3. Die Macht, ein Rechtsinstrument zu haben, das Atomwaffen verbietet. Als wir uns gegen Atomtests einsetzten, gab es überhaupt kein Rechtsinstrument, das Atomwaffen kritisch gegenüberstand. Es wurde als ein Recht mächtiger Staaten angesehen, Atomtests durchzuführen und Schaden anzurichten. Der AVV ändert das. Wir auf den pazifischen Inseln waren nicht in der Lage, Atomtests zu stoppen, doch jetzt können wir an einem größeren Thema arbeiten: der Abschaffung von Atomwaffen.

4. Zusammenarbeit mit Staaten und Machthaber*innen, um Atomwaffen zu beseitigen. Als ich 2013 der ICAN-Kampagne beitrat, wurde mir die lange Geschichte von nuklearer Abrüstung und insbesondere dem Verbot von Atomwaffen bewusst. Was mir auffiel, war die systematische, fokussierte, Stück für Stück erfolgende Herangehensweise an das Verbot von Atomwaffen. Sie wird gleichermaßen von Staaten und zivilgesellschaftlichen Akteuren geleistet, die innerhalb des UN-Systems, in Ländern und Städten, in wichtigen Organisationen auf der ganzen Welt arbeiten. Es ist eine fortlaufende Arbeit. In einigen Ländern auf vielen Kontinenten herrschen Aufruhr, Armut, Krankheit und Krieg, und ihre Zivilgesellschaften sind nicht in der Lage zu funktionieren oder den Menschen wird keine Rede- oder Versammlungsfreiheit gewährt.

Wir brauchen andere Länder mit mehr Freiheiten und weniger zeitraubenden Überlebensnotwendigkeiten, um für die prinzipielle nukleare Abrüstung in ihren Ländern und in den Machtstrukturen zu arbeiten, die schon immer auf viele andere Teile der Welt eingewirkt haben. Wir auf den pazifischen Inseln sind uns bewusst, dass unsere Inselregion immer noch als von kleinen Bevölkerungen bewohnt angesehen wird, die in den Sicherheits- und Verteidigungsplänen der größeren mächtigen Staaten als unsichtbar behandelt werden.

5. Die Wichtigkeit regionaler und internationaler Kampagnen. Die kleinen pazifischen Inselstaaten haben sich der internationalen Gemeinschaft von Staaten und zivilgesellschaftlichen Organisationen angeschlossen, um die Kampagne zu unterstützen, die zum AVV führte.

Mehr zivilgesellschaftliche Organisationen im Pazifik und auf den Fidschi-Inseln sind nun auf die Bedeutung des AVV aufmerksam geworden und unterstützen ihn.

In unserem Teil der Welt haben die kleinen pazifischen Inselstaaten ihre Präsenz als Mitgliedsstaaten in den Vereinten Nationen genutzt, Teil der 122 Staaten zu sein, die für die Annahme des Vertrags gestimmt haben. Neun pazifische Inselstaaten haben den AVV bereits ratifiziert, was einen hohen Prozentsatz der Staaten ausmacht, die das Inkrafttreten ermöglicht haben. Wir wissen, dass sich viele Staaten in Europa noch nicht gegen Atomwaffen als sicherheitspolitisches Instrument wehren. Wir hoffen, dass sich dies ändern wird.

6. Globale Machtgefüge müssen sich ändern, und die Atomwaffenstaaten müssen aufhören, unsere menschliche Existenz zu bedrohen. Macht wird immer noch von einer kleinen Gruppe von Ländern mit Atomwaffen und ihren Verbündeten ausgeübt. Sie unterstützen die nukleare Abschreckung als Form der Sicherheitspolitik. Diese Länder müssen von Bürger*innen aller Generationen, insbesondere der Jugend, daran erinnert werden, dass sie eine globale Sicherheit wollen, die nicht auf Atomwaffen und auf Kosten des Lebens, der Gesundheit und des Überlebens anderer Menschen und des Planeten beruht.

Die Ungerechtigkeit dieser Macht nuklear bewaffneter Staaten muss in Frage gestellt werden. Wir brauchen mehr und neue Akteure, die mit atomwaffenunterstützenden Regierungen sprechen. Sie müssen sie daran erinnern, wie sehr jeder Einsatz oder die Entwicklung von Atomwaffen Menschen, die sehr weit weg leben, beeinträchtigen können.

Wir auf den Pazifischen Inseln haben gesehen, wie unsere Völker mit den Auswirkungen von Atomtests leben, mit anhaltenden Krebserkrankungen, Totgeburten, Fehlbildungen bei Kindern und einem, durch viele Formen von Krebs, verkürzten Leben. Die Unterstützung durch das Gesundheitswesen ist minimal oder unzureichend.

Wir wollen nicht, dass dies irgendwo anders geschieht.

Inkrafttreten des Vertrags über das Verbot von Kernwaffen

Ich sehe das Inkrafttreten des AVV als eine Gelegenheit für neuen Aktivismus und neues, zielgerichtetes Engagement der gesamten Zivilgesellschaft auf der ganzen Welt. Es gilt nun, nukleare Abrüstung auch auf der operativen Ebene zu verwirklichen.

Fazit

Alle Staaten können und müssen eine Rolle bei der Ächtung und Abschaffung von Atomwaffen spielen, auch diejenigen, die derzeit Atomwaffen besitzen oder deren Einsatz zu ihrer Sicherheit und Verteidigung unterstützen. Ihre Haltung bezüglich Atomwaffen muss sich ändern. Viele zivilgesellschaftliche Akteure können wirksam einbezogen werden.

Der AVV legt nukleare Abrüstung nun vertraglich fest und erklärt Atomwaffen als unmenschlich und illegal. Wir müssen an der nuklearen Abrüstung arbeiten und haben mit dem AVV nun ein wirksames Werkzeug.

Vanessa Griffen ist eine langjähriger Anti-Atomwaffen-Campaignerin und Wissenschaftlerin von den Fidschi-Inseln. Sie war aktiv in der Bewegung ATOM (Against Testing on Mururoa) und gründete das Nuclear Free and Independent Pacific Network. In ihrer Forschung konzentriert sie sich auf Genderfragen und die Rolle von Frauen in der Pazifikregion.