Ein Gastbeitrag von Nirmal Upreti
Nepal ist ein wunderschönes Land im Himalaya-Gebirge, der Geburtsort von Lord Buddha und Heimat des höchsten Gipfels der Welt, dem Mount Everest – und es ist umgeben von zwei kolossalen Nachbarn: China und Indien. Beide Nachbarn haben weltweit großen Einfluss auf Handel, Wirtschaft, Kultur und globale Sicherheit. Die beiden Länder leisten auch einen bemerkenswerten Beitrag zur wirtschaftlichen und infrastrukturellen Entwicklung Nepals. Nepal hat eine geschichtsträchtige Beziehung zu beiden Ländern, die alle möglichen Aspekte betrifft; sei es Handel, Kultur oder Religion. So offenbaren die Geschichte und die heiligen Schriften die Familienbeziehungen, die zwischenmenschlichen Bindungen, das Wertesystem und die Verbindung zwischen der nepalesischen und der indischen Gesellschaft insgesamt. In ähnlicher Weise entwickelten sich die Beziehungen zwischen Nepal und China vor dem 5. Jahrhundert. Die Heirat der nepalesischen Prinzessin Bhrikuti mit dem König von China (7. Jahrhundert) und die Anwesenheit des nepalesischen Künstlers Araniko (13. Jahrhundert) bezeugen ebenfalls die langjährigen Beziehung. Die Ausübung des Buddhismus in Nepal, Indien und China und die Achtung des Geburtsortes Buddhas durch die Menschen in China und Indien zeugen ebenfalls von unserer Verbundenheit und unserem Respekt füreinander.
In der Neuzeit formalisierten Nepal und China ihre Beziehungen mit der Aufnahme diplomatischer Beziehungen am 1. August 1955. Die diplomatischen Beziehungen zwischen Nepal und Indien wurden am 17. Juni 1947 aufgenommen. Nepal und Indien arbeiten in verschiedenen Foren und Netzwerken zusammen, z.B. Südasiatische Vereinigung für regionale Kooperation (SAARC), Bay of Bengal Initiative for Multi-Sectoral Technical and Economic Cooperation (BIMSTEC), Joint Ministerial Commission for Water Resources (JMCWR), Inter-Governmental Committee (IGC), Bangladesh, Bhutan, India, Nepal (BBIN) Initiative, usw. In ähnlicher Weise kooperieren Nepal und China im Rahmen verschiedener Formate und Plattformen, wie z.B. Nepal-China’s Tibet Trade Facilitation Committee (NTTFC), Joint Tourism Co-ordination Committee, Belt and Road Initiative, SAARC, Asia Cooperation Dialogue, Shanghai Cooperation Organization (SCO) etc. Auf verschiedenen Plattformen sind Nepal, China und Indien auch gemeinsam aktiv, z.B. in verschiedenen UN-Foren oder regionalen Formaten zu gemeinsamen Themen. Die Grundprinzipien unserer Außenpolitik beinhalten: gegenseitigen Respekt für territoriale Integrität und Souveränität, Nichteinmischung in innere Angelegenheiten, Gleichberechtigung und Gewaltverzicht sowie die friedvolle Beilegung von Konflikten, beständiges Bekenntnis zur Charta der Vereinten Nationen und die Achtung des Weltfriedens. Sie zielt auch darauf ab, zu Frieden, Harmonie und Sicherheit in der Welt beizutragen. Was die Außenpolitik anbelangt, so steht Nepal fest zur Ein-China-Politik und verpflichtet sich auch, nicht zuzulassen, dass sein Boden für ifeindselige Aktivitäten gegen China genutzt wird. Obwohl zwischen Indien und Nepal Freizügigkeit herrscht, wird beiderseits respektiert, dass das jeweils andere Land nicht für Sicherheitsbedrohungen irgendeiner Art genutzt wird. Daher können wir diesbezüglich sagen, dass Nepal neutrale Beziehungen zu beiden Nachbarn pflegt.
Unser Einsatz für Frieden und Sicherheit in der Welt und der Region wird durch unser Engagement zu den UN-Friedensmissionen verdeutlicht – Nepal steht durch seinen Beitrag von Truppen und Polizei seit Anfang 2020 auf Platz 4 der weltweiten Liste.1 Nepals Wunsch nach nationaler Integrität, Souveränität und regionalem Frieden lassen sich an Nepals im Februar 1975 gemachten Angebot an die Welt messen: Nepal als „Zone des Friedens“ zu begreifen. Nepal setzt sich für eine „allgemeine und vollständige Abrüstung aller Massenvernichtungswaffen, einschließlich biologischer, chemischer, nuklearer und radiologischer Waffen auf zeitgebundene Weise“ ein. Als Vertragspartei des NVV und des CWÜ und Unterzeichner des CTBT hat sich Nepal für die Förderung der Abrüstung, insbesondere der nuklearen Abrüstung, eingesetzt. Nepal steht ein für die „Verhinderung des Wettrüstens im Weltraum und setzt sich für den baldigen Abschluss eines Vertrags über das Verbot der Produktion von spaltbarem Material (FMCT)“ ein. Die nepalesische Regierung unterstützt die Einrichtung „nuklearwaffenfreier Zonen“ als einen positiven Schritt in Richtung einer atomwaffenfreien Welt.
Die Bemühungen Nepals für den regionalen und globalen Frieden lassen sich anhand verschiedener Initiativen veranschaulichen. Wir befinden uns aufgrund unserer geopolitischen Lage zwischen zwei Riesennationen mit schnell wachsender Wirtschaft und globaler Macht an einem lebhaften Kreuzungspunkt, der die Aufmerksamkeit des Westens auf sich gezogen hat, insbesondere auch das US-Interesse – das gleichzeitig in der Aufrechterhaltung ihrer Vormachtstellung über beide Länder liegt. Auf der anderen Seite, nach den jüngsten Spannungen zwischen Indien und China im Galwan-Tal und schon den Grenzstreitigkeiten von 1962, sehen sich China und Indien gegenwärtig als Konkurrenten und haben ein Mangel an gegenseitigem Vertrauen. Derzeit wird aus verschiedenen Medien berichtet, dass Indien chinesische Apps und Waren verboten hat, nachdem sich die Spannungen im Grenzgebiet ausgeweitet hatten. Die militärischen Vereinbarungen beider Länder und die Lieferung von fünf neuen Rafale-Kampfflugzeugen aus Frankreich für die indische Luftwaffe inmitten der Grenzspannungen haben einen möglichen Krieg ebenfalls angeheizt. Die Beziehungen der USA zu Indien, die Beziehungen Chinas zu Pakistan und die häufigen Konflikte zwischen Indien und Pakistan erschweren auch die Beziehungen zwischen den beiden Atommächten untereinander. All diese Umstände haben in der südasiatischen Region ein Gefühl der Unsicherheit geschaffen.
Die Binnenlage Nepals und seine wirtschaftliche Abhängigkeit von Indien und China hat das Land in eine sehr heikle Lage gebracht, wenn es zu Spannungen zwischen den Nachbarländern kommt. Der indische Verteidigungsminister hat im Mai 2020 eine Straße Richtung Mount Kailash/Lake Manasarovar, die auch über Nepals Territorium führt, eingeweiht. Dies hat einen sonst verdeckten Grenzstreit zwischen Indien und Nepal offenbart.2 Verdächtigungen indischer Diplomaten über Nepals Haltung gegenüber China und das chinesische Gefühl der Bedrohung hinsichtlich einer möglichen Nutzung nepalesischen Landes hinblicklich der sensiblen Autonome Region Tibet (TAR) spricht dagegen, ein vertrauensvolles nachbarschaftliches Verhältnis als absolut zu sehen. Wir haben also nicht nur selbst ungünstige Ausgangsbedingungen, sondern stehen außerdem in der großen Verpflichtung, uns dafür einzusetzen, die Spannungen zwischen unseren Nachbarn zu minimieren. Dies kommt einer Herkulesaufgabe gleich, da beide Länder nicht daran interessiert scheinen, ihre Atomwaffenkonkurrenz auch nur zu verringern. Die Rivalität zwischen China und den USA und Indien und Pakistan resultiert in einer beständigen Gefahr für einen Einsatz von Atomwaffen.
Aus einem Forschungsbericht geht hervor, dass ein chinesischer Nuklearexperte argumentierte, dass Indiens kleines Arsenal abschrecken könne, aber es bestehe eine qualitative Kluft zu China. Die eigene Überlegenheit bei den militärischen Fähigkeiten aufrechtzuerhalten, trägt entscheidend zu Chinas Sicherheitsgefühl gegenüber Indien bei. Auf der anderen Seite argumentierten hochrangige indische Diplomat*innen im Ruhestand nach dem Grenzkonflikt vom Juni 2020, dass der Konflikt das „Ende eines Kapitels in den Beziehungen“ markiere und dass „die gesamte Architektur [der Grenz- und Militärabkommen zwischen China und Indien] zusammengebrochen“ sei, mit „sehr schwerwiegenden Auswirkungen“3. In Anbetracht der divergierenden Standpunkte beider Seiten kann das Risiko eines möglichen Krieges nicht völlig ausgeschlossen werden. Die einhegenden Effekte der wirtschaftlichen Verflechtungen könnten nachlassen, und die Beständigkeit der nuklearen No-First-Use-Politik beider Länder wird international zunehmend auf dem Prüfstand gestellt.4
Nepal hat zwangsläufig Beziehungen zu den beiden Nachbarländern. Wir sind in vielen Fragen wie Handel, Kultur, Religion und Sicherheit voneinander abhängig. Zwar ist Nepal ein kleines Entwicklungsland zwischen zwei Großmächten, doch geopolitisch befinden wir uns an einem entscheidenden Schnittpunkt der beiden Nachbarn, einschließlich des Westens. Nepals Neutralität darf mit Blick auf den Frieden, die Sicherheit und die regionale und globale Stabilisierung in dieser modernen Ära der Globalisierung und der nuklearen Machtspiele nicht vernachlässigt werden. Nepal, das einen gewaltigen Beitrag zur UNO-Friedensmission geleistet hat und über eine erfolgreiche Bilanz seines Engagements für die globale Sicherheit verfügt, kann in diplomatischer und technischer Hinsicht eine entscheidende Rolle für den Frieden und die Sicherheit in der Welt spielen. Als Vertragspartei und Unterzeichner von NPT, CWÜ, CTBT und TPNW kann Nepal moralisch und aufrichtig daran arbeiten, die Sorgen über die Bedrohung der Sicherheit durch einen mit Atomwaffen ausgetragenen Wettstreit weltweit und in der eigenen Region auszudrücken. Nepal kann regionale Foren und bilaterale Treffen zwischen den Nachbarländern nutzen, um die Nachbarn zu ermutigen, den Frieden in der Region zu wahren und den Einsatz von Atomwaffen unter allen Umständen zu verhindern. Nepal kann die Rolle eines Vermittlers spielen, um die Spannungen zwischen China und Indien abzubauen. Wenn wir uns dazu die Worte des früheren indischen Premierministers Atal Bihari Vajpayee zu eigen machen – er sagte, dass „wir Freunde wechseln können, Nachbarn aber nicht“.
Da Nepal beidseitig Vertrauen genießt, kann es proaktiv mit sinnvollen Vorschlägen zur Begrenzung von Konflikten und Atomwaffenkonkurrenz zwischen Nachbarn, um die Sicherheit und den Frieden in der Region – und sich selbst – zu erhalten. Mit der Notwendigkeit, das totale Vertrauen der Nachbarn zu haben, kann ein neuer Diskurs für die Sicherheit, den Frieden und die Zusammenarbeit in der Region von Nepal aus initiiert werden. Oben diskutierte Punkte, über die Vergangenheit bis zur Moderne mit einer veränderten globalen Machtpolitik, drängen Nepal in der gegenwärtigen Situation in die Rolle hinzuschauen. Darüber sollten wir nicht vergessen, den Vertrag über das Verbot von Atomwaffen (TPNW) so früh wie möglich zu ratifizieren, um moralischen Druck auf unsere Nachbarn auszuüben.
Nirmal Upreti ist Präsident der NGO Forum for Nation Building Nepal, die sich für eine nachhaltige und ganzheitliche Entwicklung Nepals und in diesem Kontext auch gegen Atomwaffen einsetzt.
1 https://peacekeeping.un.org/en/troop-and-police-contributors
2 https://www.thehindu.com/news/national/new-road-to-kailash-mansarovar-runs-into-diplomatic-trouble/article31545943.ece
3 https://carnegieendowment.org/2020/08/19/at-crossroads-china-india-nuclear-relations-after-border-clash-pub-82489
4 Ebd.