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Offener Brief an Bundesaußenminister Maas

Die deutschen ICAN-Partnerorganisationen haben sich heute anlässlich der Halbzeit der Großen Koalition in einem Offenen Brief an Außenminister Heiko Maas gewendet. Sie verweisen auf die Vereinbarung im Koalitionsvertrag, wonach Deutschland neue Initiativen für Rüstungskontrolle und Abrüstung ergreifen werde. „Bisher sehen wir jedoch keine solche Initiative, die den Herausforderungen unserer Zeit gerecht würde. Stattdessen sehen wir die wachsende Gefahr eines ungezügelten atomaren Wettrüstens und Militärmanöver in Europa, in denen der Atomkrieg geübt wird“, heißt es in dem Schreiben.

Hier der offene Brief im Wortlaut:

Halbzeit der Regierungskoalition – wo bleibt die neue Abrüstungsinitiative?

Sehr geehrter Herr Maas,

in diesen Tagen ist die Halbzeit der Großen Koalition erreicht und Sie werden sicherlich Ihre Erfolge auswerten. Aus diesen Anlass wenden wir – die deutschen Partner des Friedensnobelpreisträgers „Internationale Kampagne zur Ächtung von Atomwaffen“ (ICAN) – uns heute an Sie. Unser Fokus liegt auf einer der beiden größten Gefahren für die Zukunft unseres Planeten: Atomwaffen.

Im Koalitionsvertrag haben Sie geschrieben: „Deutschland wird neue Initiativen für Rüstungskontrolle und Abrüstung ergreifen.“ Bisher sehen wir jedoch keine solche Initiative, die den Herausforderungen unserer Zeit gerecht würde. Stattdessen sehen wir die wachsende Gefahr eines ungezügelten atomaren Wettrüstens und Militärmanöver in Europa, in denen der Atomkrieg geübt wird.

Die humanitären Folgen eines Einsatzes von Atomwaffen wurden mehrere Jahre lang bei den Vereinten Nationen und bei drei Staatenkonferenzen thematisiert. ICAN, das Internationale Rote Kreuz und andere humanitäre Organisationen haben viel zur Aufklärung beigetragen. Wir haben Studien über die globalen Folgen und Risiken eines Atomwaffeneinsatzes, die resultierenden Klimaveränderungen, Cybersicherheit und die Genderproblematik veröffentlicht. Wir haben schlüssige Argumente vorgelegt, warum Abschreckung keine Basis für menschliche Sicherheit sein kann.

Gleichzeitig unterzeichnen und ratifizieren immer mehr atomwaffenfreie Staaten den Vertrag für das Verbot von Atomwaffen (TPNW), weil sie ihre Sicherheit in der Abschaffung dieser Massen-vernichtungswaffen sehen. Es ist davon auszugehen, dass der Vertrag 2020 in Kraft tritt. Doch die Bundesregierung bleibt beharrlich bei ihrem Boykott. Deutschland und andere Bündnispartner der Atomwaffenstaaten versprechen sich (irrtümlich) weiterhin Sicherheit durch nukleare Abschreckung.

Der Nichtverbreitungsvertrag (NVV) wird durch diesen Spagat zwischen Staaten, die an der Doktrin nuklearer Abschreckung festhalten, und Staaten, die auf nukleare Abschreckung verzichten, schwer belastet. Diese Belastung ist nicht in unserem Sinne. Doch der NVV wird zwangsläufig scheitern, wenn die berechtigten Sicherheitsbedürfnisse der atomwaffenfreien Staaten weiterhin beiseitegeschoben werden und der Verbotsvertrag als Problem dargestellt wird. Solange dies der Fall ist, bleiben wir dem inakzeptablen Risiko einer nuklearen Katastrophe ausgesetzt.

Viele Jahre lang haben wir mit dem Restrisiko eines Super-GAUs durch Atomkraftwerke leben müssen. Nach der Katastrophe von Fukushima hat die damalige Bundesregierung die Reichweite dieses Risikos verstanden und den Ausstieg aus der Atomenergie beschlossen. Gegenüber der Bedrohung durch Atomwaffen sollte die Bundesregierung schon heute die gleiche konsequente Haltung an den Tag legen – nicht erst nach einer Katastrophe!

Die verbleibende Hälfte Ihrer Amtszeit gibt Ihnen, sehr geehrter Herr Maas, ausreichend Zeit, konsequente Initiativen voranzubringen! Die deutsche Bevölkerung steht mit einer großen Mehrheit hinter der Forderung, Atomwaffen völkerrechtlich zu verbieten und die verbleibenden US-Atomwaffen aus Deutschland abzuziehen. Die Zahl der Städte, die sich mit dem ICAN-Städteappell für ein Atomwaffenverbot aussprechen, wächst täglich. Bereits elf Landeshauptstädte sind dabei. Auch drei Bundesländer – Bremen, Berlin und Rheinland-Pfalz – fordern die Bundesregierung auf, den Vertrag zu unterzeichnen. Und mehr als 500 deutsche Abgeordnete aus Bundestag, Landtagen und Europaparlament haben sich öffentlich bereit erklärt, sich gemeinsam mit ICAN für ein Atom-waffenverbot einzusetzen.

Sehr geehrter Herr Maas, wir sind überzeugt: Wenn Sie klar Position für das Verbot von Atomwaffen beziehen, würden Sie damit zeigen, dass Sie als SPD-Außenminister auf der richtigen Seite der Geschichte stehen. 30 Jahre nach dem Mauerfall könnte ein vereintes Deutschland die richtigen Lehren aus unserer Vergangenheit ziehen und eine Schlüsselrolle für eine atomwaffenfreie Zukunft spielen.

Oder wir verharren in der Logik des Kalten Krieges.

Letzteres wäre nicht verantwortlich.

Mit freundlichen Grüßen

Xanthe Hall, ICAN Deutschland

Dr. med. Alex Rosen, IPPNW Deutschland

Roland Blach, Kampagne „Büchel ist überall! atomwaffenfrei.jetzt“ und DFG-VK

Simon Bödecker, Ohne Rüstung Leben

Horst-Peter Rauguth, Geistlicher Beirat pax christi Deutschland

Dr. Dirk-M. Harmsen, Forum FriedensEthik (FFE) in der Evangelischen Landeskirche in Baden

Hier der Brief als PDF herunterladen